ein ästhetisches programm für licht, farbe und bewegung
 

es wird im bereich der konkreten und konstruktiven kunst eine diskussion geführt über den begriff des universellen, den die pioniere des zweiten jahrzehnts unseres jahrhunderts gegen das individuelle gesetzt hatten. im manifest des de stijl von 1918 heißt es: das alte richtet sich auf das individuelle, das neue richtet sich auf das universelle. allerdings heißt es  dann gleich: die neue kunst hat das, was das neue zeitbewußtsein enthält, ans licht gebracht, gleichmäßiges verhältnis des universellen und des individuellen. fast gleichzeitig, 1916, hat der russische sprachtheoretiker viktor sklovskij die auffassung geäußert, daß der wahrnehmungsprozeß in der kunst selbstzweck sei. durch anleihen am mathematischen denken, das dann die vierziger jahre kennzeichnete, und überhaupt in einer anlehnung an naturwissenschaftlich orientierten deutungsmodellen wurde der universelle stiftungsgedanke neu belebt und erfolgreich weitergetragen. die spielwiesen der kinetischen, auch lichtkinetischen kunstwerke waren eine vorübergehende veräußerung dieses tiefen anliegens. es genügt aber auch, an den satz von richard paul lohse zu erinnern, daß der wandel der generationen sich im wandel von der individuellen form zum anonymen element darstelle. konkrete künstler unserer tage halten, mit wenigen bekannten ausnahmen, eine art planrealisierung im sinne eines universellen als nicht mehr möglich und auch nicht mehr als wünschenswert. sie tun sich aber auch schwer, die identität eines individuellen herzustellen, wozu sie übrigens gerne auf die geschichtliche individualität zurückgreifen. so oder so, es ist durch die frühen konkreten künstler mit dem begriff des universellen, auf das sich das neue zu richten hat, nicht nur ein großartiges motiv, es ist auch der ständige ansporn, die vorgabe einzulösen, in wille und vorstellung eingeprägt worden.

wer in die werkstatt von edgar knoop blickt und heute in deren verlängerung, in diese ausstellung, begegnet der grundsatzdiskussion der konstruktiv-konkreten kunst sowohl in einer aktualisierten theoretischen formulierung wie auch in entsprechenden realisierungen. fürs erste allerdings ist es eine begegnung zwischen objekten und uns, den betrachtern, die wir durch unsere wahrnehmungsleistung zur ausstellung zahlen. doch schon josef albers hat diese begegnung gesehen als einen widerspruch zwischen physischem tatbestand und psychischer wirkung, und er hat darin den ursprung der kunst überhaupt gesehen, das heißt, er sprach nicht mehr von malerischen mitteln, von farben und formen und von ideen, von irgendeiner ästhetik mit regeln, er ließ alles offen.

fraglich an seinem statement scheint mir der "widerspruch", den er zwischen dem physischen tatbestand und der psychischen wirkung sieht, denn wir, die wir den gestaltkreis, die biologische kohärenz mit dem kybernetischen regelkreis als denkmodelle aufgegriffen haben und schließlich auch die gesamtsinnesorganisation an uns selbst bestätigt finden, reiben uns weniger am widerspruch, sondern versuchen, das kontinuum von reizen und reaktionen, von empfindungen und erfahrungen bewußt zu leben. recht aber hat der alte bauhausmeister schon, wenn er, grundsätzlich im physischen tatbestand den gegenstand, den widerstand, das reizobjekt sieht. der widerspruch liegt da begrifflich sehr nahe. würden wir den physischen tatbestand ein kunstwerk nennen, könnten wir trotz des widerspruchs nicht mehr von l'art pour l'art sprechen, d.h. einer verselbständigung der künstlerischen mittel und haltung. wir sind mit dem physischen tatbestand des kunstwerks auf vielfältige weise, meist sogar mit mehr als einem modalen sinn verstrickt. unsere realität ist immer verstrickung. trotzdem fragen wir nun angesichts der lichtkinetischen werke von edgar knoop nach der kunst, um die diskussion über das universelle und das individuelle auf den jüngsten stand zu bringen.

 

lichtkinetische collage 1993

lichtkinetische collage 1993

 

ist das noch kunst? ist das wieder kunst? wird hier kunst reduziert auf den wahrnehmungsprozeß, auf eine reizästhetik? ist diese besondere konzentration, welche uns von den arbeiten knoops abverlangt wird, indem sie brennpunkte in form von schmalen schlitzen und suggestiven strukturell vor augen bringt - ist diese besondere konzentration merkmal einer wahrnehmungskunst, einer einheit aus licht, farbe, raum, sinnesleistungen? solche fragen werden nicht gesucht, sondern sie ergeben sich. sie liegen in der art der begegnung, eine begegnung mit spitzenleistungen einer kunst, die nicht auf gespeicherte erfahrungswerte abstellt, sondern auf die momente der begegnung, auf die momente einer geschehniseinheit.

wir sehen die leistung von edgar knoop auch noch in einem anderen zusammenhang. wenn wir den alten dualismus von figur und grund heranziehen und als grund die optischen orgien der beliebigkeit, die uns täglich umfangen, andererseits als figur das sich davon abhebende kunstwerk, den ästhetischen standpunkt definieren, müssen solche kunstwerke, um sich zu behaupten, geradezu - der begriff stammt von max bense - als dünnschliffe geschaffen werden. sie müssen sich haarscharf unterscheiden und genau strukturiert sein. das konzept, die dramaturgie neuer optischer kunst wird wichtiger denn je und unterscheidet sich von den darstellungen der früheren kinetischen op art wie der laserstrahl von der zauberlaterne. dabei arbeitet knoop nicht besonders aufwendig, das heißt, er stellt keine maschinen her, welche selbst alte funktionen von repräsentation darstellen, sondern er wählt - dieses wählen unter materialien ist ein besonders wichtiges indiz - ein material, das auch für außerästhetische zwecke verwendung findet. es sind die beugungsgitterfolien, die minimalistische lichteffekte provozieren und von knoop genau dosiert, materialgerecht, eingesetzt werden.

werke, wie sie knoop herstellt, heben sich auch noch in einem anderen aspekt als figuren von seinem grund ab. die biologische integration hat immer nur augenblicksgeltung. ihr bezugssystem kann zwar eine gewisse dauer besitzen, aber es ist eigentlich kein system, sondern es ist - nach der gestaltkreis-theorie von viktor von weizsäcker - eine einordnung von biologischen leistungen in einer gegenwart. im gegensatz also zur physikalisch-mathematisch verstandenen integration der pioniere der konkreten kunst, die ein in der zeit konstantes bezugssystem war, ist die biologische integration, die wir in der interaktion mit lichtkinetischen collagen und lichtkinetischen reliefs vornehmen, ein erscheinen und verschwinden, ein natürliches befangensein in einem projektionsmechanismus. das universelle, dem wir anhand der kunstwerke von edgar knoop auf der spur sind, wird uns sozusagen blitzartig bewußt; unser ästhetischer standpunkt ist keine bedingung mehr für kunst. das heißt jedoch nicht, einem transästhetischen, das unaufhaltsam zur ausbreitung eines immergleichen führt, das wort zu sprechen oder zuzustimmen. gegen den bildersturm, gegen bildüberproduktion setzen künstler wie knoop den focus des immer wieder möglichen einmaligen reizes. die künstlerische leistung wird am rund der totalästhetisierung ausgeübt; aus der existenz am rande wird sie jedoch beim einzelnen teilnehmer zur überraschenden mittelpunkt-interaktion. das war schon immer ein wesenszug der kunst, die blitzartige erleuchtung, daß wir bei dieser begegnung jedoch noch originalität, eindeutigkeit, differenzierung erfahren, läßt uns für einen moment wieder wahrhaftige werden.

 

eugen gomringer
wilhelm - hack - museum ludwigshafen, heidelberger kunstverein, 1993

 

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